19

 

„Wir müssen Saer loswerden“, verkündete ich. Ich betrat gerade den langen, L-förmigen Raum, der Christian, wie eine Hausangestellte uns erklärt hatte, als Bibliothek diente, gefolgt von Adrian und meinen Mumien. Verglichen mit der Bibliothek in seinem Schloss war sie nichts Besonderes, war aber interessant genug, dass ich kurz stehen blieb, um eine vollständig erhaltene Ritterrüstung zu beäugen, bevor ich mich an Christian und Allie wandte. „Adrian und ich sind wahnsinnig ineinander verliebt und ich werde nicht tatenlos dabeistehen, wenn Saer versucht, ihn zu vernichten. Jemand muss nachgeben und ich habe vor, dafür zu sorgen, dass es Saer ist.“

Melissande und Belinda blickten auf, als wir eintraten. Allie goss Tee ein.

„Oh“, sagte ich und blieb an der Tür stehen. Die Mumien quäkten. Adrian beförderte mich mit einem sanften Schubs in den Raum hinein.

„Melissande.“ Er nickte seiner Schwester zu und blieb neben mir stehen. „Du siehst gut aus.“

Ihre Hand zuckte, sodass der Tee über den Rand ihrer Tasse schwappte. „Danke, Adrian.“ Ihr Blick huschte zu mir, bevor er sich widerwillig wieder auf ihn richtete. „Du ebenso. Ich... äh... gratuliere dir zu deiner Verlobung.“

Wir sind verlobt?, fragte ich ihn.

Unter den Dunklen ist es Brauch, die Auserwählte zu heiraten. Ein düsterer Argwohn stieg in ihm auf. Es sei denn, du willst das aus irgendeinem Grund nicht...

„Vielen Dank, wir sind vor Glück ganz aus dem Häuschen. Wir haben vor zu heiraten, sobald wir deinen anderen Bruder zu Brei verarbeitet haben“, vertraute ich Melissande an. Da sie ja bald meine Schwägerin sein würde, duzte ich sie einfach. „Wir würden uns schrecklich freuen, wenn du zu unserer Hochzeit kommen könntest, auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wann sie stattfinden wird oder wo wir in Zukunft leben werden -“

„Wir werden in meinem Haus leben“, verkündete Adrian und zog mich an seine Seite. Diese besitzergreifende Geste hätte ich bei jedem anderen verabscheut, doch bei ihm fühlte ich mich jedes Mal warm und geborgen.

Du hast ein Haus?

Ich wohne nicht unter einem Stein, wenn es das ist, was du wissen möchtest, Hasi.

Ein strahlendes Lächeln überzog mein Gesicht, als Allie uns bat, Platz zu nehmen. „Habt ihr ein paar Zeitungen oder so etwas Ähnliches?“, fragte ich sie.

Allie blickte verwirrt drein.

„Für die Mumien. Oh, keine Sorge, sie sind stubenrein. Jedenfalls glaube ich das... Aber es lösen sich immer wieder ein paar Fetzen ab und es macht weniger Arbeit beim Putzen, wenn sie sich auf eine Zeitung stellen.“

Sie blinzelte ein paar Mal, zeigte aber auf einen Stapel Zeitungen.

Hasi, es sind keine Hundewelpen, sagte Adrian, als ich einige Bögen auf dem Boden ausbreitete.

Natürlich sind es keine Hundewelpen. Ich habe nie behauptet, dass es Hundewelpen wären. Welpen sind süß und niedlich und haben große Augen. Meine Mumien sind nur süß und haben keine Augen. Aber sie waren früher mal Menschen, und deshalb haben sie den Respekt und die Ehrerbietung verdient, die jedem Verstorbenen zustehen. Das schulden wir ihnen, Adrian.

„Sitz“, befahl ich den Mumien und zeigte auf die Zeitungsblätter. Sie setzten sich.

Belinda wirkte müde, aber keineswegs überrascht, uns zu sehen. Aber Melissande .. Sie fühlte sich eindeutig nicht wohl mit Adrians Wandel vom gefürchteten und verhassten Verräter zu einem liebenswerten - und geliebten - Mann.

Ich hockte am Rand eines Zweiersofas, Adrian saß neben mir. Allie reichte mir eine Tasse Tee und einen Teller mit allerlei Leckereien. Ihre Augen funkelten, jedes in einer anderen Farbe, als sie sagte: „Ich bin sicher, das könnt ihr gebrauchen nach eurem... äh... Nickerchen.“

Tiefe Schamesröte überzog meine Wangen angesichts ihrer unausgesprochenen Belustigung. Melissande presste die Lippen aufeinander und wischte den verschütteten Tee auf. Belinda lächelte uns wohlwollend zu, während Christian Adrian einen Blick voller männlichem Verständnis zuwarf, den ich lieber nicht allzu genau unter die Lupe nehmen mochte.

„Damian schläft.“ Es war Melissande, die das Schweigen brach.

„Ja, ich weiß“, erwiderte Adrian.

„Du bist nach wie vor verflucht, nicht wahr?“, fragte sie mit erhobener Augenbraue. „Ist es dir deswegen nicht untersagt, die Gedanken anderer zu lesen, abgesehen von denen deiner Auserwählten?“

„Ja, das bin ich, und ja, das ist es.“

Sie runzelte die Stirn, eindeutig verwirrt. „Aber wie -“

„Wir haben auf dem Weg nach unten einen Blick in Damians Zimmer geworfen“, antwortete ich an Adrians Stelle. Ich fand es schrecklich, wie steif und unbeholfen sie miteinander umgingen, konnte aber nichts dagegen tun, ehe wir Saer los waren. Bei diesem Gedanken zuckte ich zusammen; schließlich wusste ich, wie gern Melissande ihren Bruder hatte.

„Melissande ... wegen Saer...“

„Er muss besiegt werden.“ Christians Stimme klang müde. Allie hatte sich auf der langen Ledercouch neben ihm zusammengerollt, ihre Hand ruhte auf seinem Bein. Aus den Augenwinkeln konnte ich die schwachen Muster von Bannen sehen, die auf seinem Kopf und seiner Brust gezeichnet waren. Ich fragte mich, ob sich Allie wohl Sorgen gemacht hatte, als er Adrian gegenübergetreten war. Diese Banne hatten ihn vermutlich Adrians Versuch, ihm den Hals zu brechen, überleben lassen.

„Es tut mir leid, Melissande, aber Saer ist zu weit gegangen, als er eine Armee aufstellte. Auch wenn uns seine Absichten nicht bekannt sind, kann dies nichts Gutes bedeuten.“

„Mir sind seine Absichten bekannt“, warf Adrian mit leiser Stimme ein. Seine Finger lagen warm in meinem Nacken, wo er mit einer Haarsträhne spielte.

„Tatsächlich?“ Christian warf Adrian einen prüfenden Blick zu. „Dann kläre uns bitte auf.“

„Ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn wir auf diese Art und Weise über Saer sprechen“, unterbrach Melissande. Sie stand auf und ging ruhelos in dem Zimmer auf und ab. „Er war stets ein hingebungsvoller Bruder und liebevoller Onkel. Ich muss zugeben, dass seine Taten im Augenblick nicht ohne Weiteres erklärt werden können, aber wir haben noch nicht seine Version der jüngsten Ereignisse gehört. Es kann durchaus sein, dass er völlig unschuldig ist und wir seine Handlungen vollkommen falsch interpretieren.“ Sie warf Adrian einen raschen, undurchdringlichen Blick zu.

Adrian ignorierte sie. „Saer plant, Asmodeus zu stürzen“, berichtete er, an Christian gewandt.

„Seht ihr!“, rief Melissande.

„Indem er Belinda opfert und dann Asmodeus' Thron für sich selbst beansprucht“, endete Adrian.

Die anschließende Stille wurde nur von einer der Mumien gebrochen, die zufrieden an meinem Schuh nuckelte.

„Tja, so viel zu Saers Unschuld“, sagte ich leise. Ich ließ Melissande nicht aus den Augen. Ihr Gesicht war bleich, aber sie reckte das Kinn in einer Geste sturer Verbissenheit, die mir sehr bekannt vorkam. Schließlich hatte ich deren männliche Version oft genug vor Augen.

„Du kannst nicht mit Sicherheit wissen, dass er tun wird, was du vermutest“, sagte sie.

„Ich weiß es“, entgegnete Adrian. Der Schmerz, der ihn durchzog, war so stark, dass es mir das Herz abschnürte. Ich lehnte mich an ihn, ließ ihn meine bedingungslose Liebe und Zustimmung spüren. Seine Finger umgriffen meinen Nacken fester. „Was glaubst du denn, wer Damians Gefangennahme in die Wege geleitet hat?“

Entsetzt starrte ihn Melissande mit offenem Mund an. „Du meinst doch nicht etwa... du willst doch nicht sagen, dass Saer... dass er seinen eigenen Neffen... er ist mein Bruder! Du kannst nicht erwarten, dass ich glaube, dass er etwas derartig Unmenschliches tun würde!“

„Und doch, Schwester, hast du keinerlei Schwierigkeiten zu glauben, dass ich es tun würde.“ Adrians blasse Augen funkelten spöttisch.

„Das ist etwas vollkommen anderes!“, gab sie zurück. Mit bebenden Nasenflügeln blieb sie vor Adrian stehen. „Du bist der Verräter. Solche undenkbaren Taten sind doch für dich gang und gäbe.“

„Okay, jetzt mal ganz ruhig!“ Ich war so plötzlich aufgesprungen, dass Melissande ein paar Schritte zurücktreten musste. „Zuerst einmal ist Adrian nicht länger der Verräter. Zweitens: Ihr scheint alle zu glauben, dass er an den Dingen, die er tat, Spaß hatte!“

„Hasi, gib dir keine Mühe. Es spielt keine Rolle, was sie denken -“

„Für dich vielleicht nicht, aber für mich schon.“ Mein irisches Temperament ging mit mir durch, als ich jedem der Anwesenden einen wütenden Blick zuwarf. Sogar Belinda, die von ihnen allen am unschuldigsten war, konnte mir nicht in die Augen sehen. „Adrian ist verflucht. Versteht ihr eigentlich, was das bedeutet? Er ist mit Leib und Seele an einen Dämonenfürst gebunden, und zwar an diesen Asmodeus, den Saer zu stürzen vorhat. Er hatte keine Wahl, er musste den Befehlen seines Herrn Folge leisten. Keine Wahl! Auch der Tod ist keine Option, denn solange der Fluch ihn bindet, kann Adrian nicht getötet werden.“

„Er hatte eine Wahl!“, kreischte Melissande. Ihr plötzlicher Ausbruch kam für uns alle überraschend. Sie zeigte mit bebendem Finger auf Adrian. „Er hat sich Asmodeus selber angeboten, im Austausch für dunkle Mächte.“

„Schwachsinn!“, schnauzte ich sie an, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob meine Ausdrucksweise ladylike war.

„Nell-“

„Nein!“ Ich schüttelte die Hand ab, die Adrian mir auf den Arm gelegt hatte, um mich zu beruhigen. Er stand auf, offensichtlich in der Absicht, mich aufzuhalten, aber mir reichte es. „Sie kapieren es nicht, keiner von ihnen, und es wird endlich einmal Zeit, dass ihnen jemand reinen Wein einschenkt.“ Ich drehte mich mit verschränkten Armen zu Melissande um, mein Kinn hocherhoben, und sah ihr in die Augen. „Weißt du eigentlich, warum Adrian verflucht worden ist? Tatsächlich traf ihn daran keine Schuld. Dein Vater hat ihn Asmodeus überlassen, im Tausch für sexuelle Anziehungskraft. Adrian war quasi noch ein Baby, als euer Vater ihn, Fleisch von seinem Fleisch, Blut von seinem Blut, einem Dämonenfürst übergab, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wurde in die Sklaverei verkauft, Melissande, und zwar von ebendem Mann, der ihn hätte beschützen sollen!“

Hasi -

Melissande starrte mich an, auf ihrem Gesicht malte sich Unglauben ab. „Nein. Das glaube ich nicht - es kann nicht sein - er hat diese Wahl selbst getroffen -“

„Er war zwei Jahre alt! Wie konnte er in dem Alter eine Wahl haben? Aufgrund des Verrats seines Vaters wurde er zum Ausgestoßenen!“, schrie ich. Plötzlich fühlte ich Tränen auf meinen Wangen, die ich wütend wegwischte. Die Mumien, die meine Aufregung offenbar spürten, begannen mit unheimlichen, schrillen Stimmen zu wehklagen. „Er wurde gehasst und verachtet und gejagt wegen Handlungen, zu denen er gezwungen wurde, Handlungen, die er mit jedem Schlag seines Herzens bedauerte, aber hat sich auch nur einer von euch die Zeit genommen zu fragen, warum er tat, was er tat? Nein, ihr habt ihn einfach nur für vogelfrei erklärt und verleumdet und angeprangert, ohne euch jemals die Mühe zu machen herauszufinden, warum er verflucht war. Eure selbstgerechte Tugendhaftigkeit macht mich krank! Adrian ist seit fünf Jahrhunderten ganz auf sich gestellt, gequält und gefoltert, ohne dass ihm auch nur eine Hand in Freundschaft gereicht worden wäre!“

Die Mumien, die immer noch gehorsam sitzen blieben, drückten sich in ihrer Not an mein Bein. Ich schob sie sanft beiseite und zog die Nase hoch. Ich schämte mich meines Ausbruchs keineswegs, aber ich wünschte, ich hätte mich ein bisschen mehr unter Kontrolle gehabt.

Adrian drückte mir einen warmen Kuss auf den Nacken.

Danke, Hasi. Noch nie zuvor hat sich jemand für mich eingesetzt, vor allem nicht so wortgewandt.

Ich nahm das Taschentuch, das er mir hinhielt, und trocknete mir aufgebracht die Augen. Gleichzeitig tätschelte ich die Köpfe der Mumien, um sie zu beruhigen. Sie haben es verdient, sagte ich in Gedanken. Sie alle haben eine ordentliche Strafpredigt verdient.

Als ich mit meiner Tirade fertig war, sank Melissande in einen Stuhl; sie hielt sich eine Hand vor den Mund, als ob sie einen Schrei zurückhalten wollte.

Christian stand einen Moment verlegen da, bevor er Adrian die Hand hinstreckte. „Ich bin tief beschämt, dass ich den Grund für deine Taten als Verräter nie infrage gestellt habe. Es mag nur eine kleine Wiedergutmachung sein, aber jetzt biete ich dir meine Hilfe an.“

Ich ließ den Tränen freien Lauf, als Adrian ernst Christians Hand ergriff und schüttelte und sogar zuließ, dass dieser ihn umarmte und kurz an sich drückte. Allie schniefte und griff nach einer Serviette. Belinda lächelte; sie sagte zwar nichts, aber ihre Augen waren von Trauer erfüllt. Erst jetzt wurde mir klar, was mein Ausbruch sie gekostet haben musste. Ich war so darauf versessen gewesen, Melissande begreiflich zu machen, wie abgrundtief böse Saer war, dass ich nicht einen einzigen Gedanken darauf verschwendet hatte, wie viel Schmerz die Wahrheit Belinda bereiten musste. Ob sie nun wusste oder nicht, wie weit Saer zu gehen bereit war, sie war immerhin seine Auserwählte. Die beiden verband etwas, von dem ich wusste, dass es weit über bloße Gefühle hinausging.

„Es tut mir schrecklich leid, Belinda. Ich habe gesprochen, ohne nachzudenken.“ Ich befreite mich aus der Umklammerung der Mumien und beugte mich zu ihr, um sie reumütig in die Arme zu schließen. „Es war grausam von mir, in deiner Gegenwart so über Saer zu sprechen, aber du musst verstehen, dass ein Teil von Adrians und meiner Sorge auch dir galt.“

Sie schüttelte den Kopf und warf uns allen ein trauriges Lächeln zu. „Ihr müsst nicht versuchen, mir die Wahrheit zu versüßen. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, als Saer vor ein paar Tagen zu mir kam und unbedingt das Ritual vollziehen wollte, nachdem er sich jahrelang geweigert hatte, dies zu tun. Ich bin seinen Fehlern gegenüber nicht blind, wisst ihr. Ich wusste immer, dass er ehrgeizig ist, und ich wusste auch, dass er sich eines Tages möglicherweise sogar meiner bedienen würde, um seine Ziele zu erreichen.“

„Wir werden dich vor ihm beschützen“, sagte ich fest entschlossen und griff nach Adrians Hand. Seine Finger hielten meine warm und zuverlässig umschlossen. „Wir werden nicht zulassen, dass er dich noch einmal missbraucht.“

Sie nickte, die Augen voller Tränen. Um sie nicht zu bedrängen, wandte ich mich ab und kehrte zu der kleinen Couch zurück, neben der die Mumien saßen. Sie gurrten glücklich und streichelten meine Beine, ihre augenlosen Gesichter bewundernd zu mir erhoben.

„Du musst sie endlich in ihren unbelebten Zustand zurückversetzen.“ Adrians Stimme klang nüchtern. „Bald.“

Ich drehte den Ring, den ich immer noch am Daumen trug, hin und her. „Du bist doch bloß eifersüchtig, weil sie nicht vor dir kriechen.“

„Es ist die Macht des Rings, Hasi, nicht deine persönliche Anziehungskraft.“

Zur Strafe kniff ich ihn. „Wenn das auch keine besonders geschickte Überleitung ist, möchte ich doch die Gelegenheit zu einem Themenwechsel nutzen. Mit allem nötigen Respekt, Belinda und Melissande, lasst uns jetzt darüber sprechen, was wir mit Saer tun sollen. Ich vermute, die Macht des Rings reicht aus, um ihn auszutricksen? Sollen wir ihn nur gefangen setzen oder... äh... ein für alle Mal unschädlich machen?“

Christian, der wieder Platz genommen hatte, rieb sich das Kinn, wobei er zu Melissande hinüberblickte. Sie war auf ihrem Stuhl sitzen geblieben, ihr Gesicht eine ausdruckslose Maske, den Blick auf ihre Hände gerichtet.

„Ich fürchte, dass jegliches Handeln, das weniger als seine vollständige Niederlage nach sich zieht, das Unvermeidliche lediglich hinausschieben würde.“ Er blickte Adrian fragend an.

Zu jedermanns Überraschung (bis auf mich) stimmte Adrian nicht auf der Stelle zu.

Stattdessen saß er da, den Arm um mich gelegt, mit einer Hand mein Haar streichelnd, und bedachte seine Antwort. Ich wusste, wie ungern er seinen Bruder vernichten wollte. Auch wenn Saer und Melissande offensichtlich keinerlei Loyalität ihm gegenüber empfanden, lagen ihm selber Familienbande am Herzen. „Saer wird sich seiner Armee bedienen, um mich zu vernichten. Er kann Asmodeus nicht besiegen, solange sich der Ring in meinem Besitz befindet oder im Besitz meiner Auserwählten. Also wird er zuerst mich angreifen. Wenn wir ihn ausreichend schwächen können, wird er vernichtet, ohne dass es notwendig ist, ihm das Leben zu nehmen und Belinda einem Risiko auszusetzen.“

Könnte sie Saers Tod überleben?, fragte ich. Du behauptest, du kannst ohne mich nicht leben, aber gilt das für alle Auserwählte? Würde sie verrückt werden oder würde sie dahinwelken, wenn er ums Leben kommen sollte?

Ein Widerhall von Traurigkeit streifte meine Gedanken. Ein Dunkler kann den Verlust seiner Auserwählten nicht überleben, aber sie kann den seinen überstehen.

Mir ist egal, was du über andere Frauen sagst, aber ich weiß ganz bestimmt, dass deine Auserwählte dazu nicht imstande ist.

Darauf antwortete er nicht, obwohl ich wusste, dass er es gerne abgestritten hätte.

„Ich hielt es immer für nötig, mich nicht endgültig an Saer zu binden, wegen Damian“, sagte Belinda ruhig, mit von Tränen erstickter Stimme. Ihr Blick traf meinen und ein unausgesprochenes Versprechen wurde erbeten und gegeben. „Aber nun hat Damian eine zweite Mutter, also wäre es vielleicht am besten -“

„Ach ja...“, unterbrach ich unhöflich und hielt meine Hand hoch, um sie davon abzuhalten, ihren Satz zu beenden. „Neue Regel: Niemand opfert sich selbst! Okay? Nicht Adrian, nicht Belinda, niemand. Wir schaffen das, auch ohne dass jemand den Märtyrer spielt.“

Allie lächelte mir zu. „Endlich mal jemand mit gesundem Menschenverstand. Ich vergebe dir, dass du versucht hast, Christian in der Sonne verbrennen zu lassen.“

„Danke“, sagte ich. „Ich nominiere mich selbst als Anführerin dieser Strafexpedition. Irgendwelche Einwände?“

„Ja!“, brüllten Adrian und Christian gleichzeitig.

„Nein!“, antworteten Allie und Belinda.

Melissande blieb stumm. Sie schien sich endlich mit der Vorstellung abzufinden, dass der Bruder, von dem sie so lange geglaubt hatte, er sei ein Verräter, keiner war, während sich der Bruder, den sie liebte, tatsächlich als solcher entpuppt hatte. Sie hatte etwas Bedenkzeit verdient, um das alles zu verdauen. Ich blickte auf die Mumien. „Und was sagt ihr Jungs dazu?“

„Aiiieee!“, jaulten sie einstimmig.

„Das heißt also, fünf für mich und zwei dagegen. Ich hab gewonnen. Dann lasst uns mal über die Macht dieses Rings sprechen.“ Ich starrte das Rund aus Gold und Hörn an meinem Daumen ein paar Sekunden lang an, bevor ich mich an Adrian wandte. „Warum fühlt sich der Ring für mich eigentlich nicht kalt an? Alles andere, was mit Asmodeus zu tun hat, fühlt sich kalt an, regelrecht eisig, aber dieser Ring ist warm. Und dann war da noch dieses Glücksgefühl, als ich den Fluch löste, der auf Damian lag... Der Ring eines Dämonenfürsten sollte die Menschen doch wohl sicher nicht glücklich machen?“

„Der Ring wurde vor vielen Jahren von Asmodeus gestohlen“, erwiderte Adrian. Sein Daumen strich zärtlich über meinen Hals. „Er wurde nicht eigens für ihn angefertigt, sondern von einem mächtigen Magier geschaffen. Der Ring wurde aus dem Hörn eines Einhorns gefertigt und mit ziseliertem Gold verziert, das von einem der größten Alchimisten der Geschichte hergestellt wurde.“

„Ja, klar, das Hörn eines Einhorns“, sagte ich. Ich warf ihm einen Blick zu, der ihm klarmachen sollte, dass ich es nicht schätzte, wenn er mich auf den Arm nahm.

Er nickte mit todernstem Gesicht. Ich blickte zu Christian hinüber. Auch der nickte. „Es war Allegra, die den Ring von Asmodeus' Hand zog. Dazu wäre sie nicht imstande gewesen, hätte der Ring vom Dämonenfürsten selbst gestammt. Wir haben den Ring dann zeitweise verloren, aber Sebastian fand ihn wieder und brachte ihn uns zurück. Natürlich erkannte er, was für einen Ring er da vor sich hatte. Wir beschlossen, dass Allegra und ich den Ring so lange sicher aufbewahren sollten, bis wir in der Lage sein würden, damit umzugehen. Als wir von Melissandes Versuch, Damian zu retten, erfuhren, empfahl ich, den Ring zu benutzen. Deshalb waren wir in Köln: Wir waren auf dem Weg nach Hause, um den Ring zu holen.“

„Das verstehe ich ja alles. Alles, bis auf die Tatsache, dass der Ring angeblich aus dem Hörn eines Einhorns gemacht ist. Ihr könnt doch nicht ernsthaft von mir erwarten zu glauben, dass Einhörner...“ Ich verstummte. Alle sahen mich an, als ob ich die Verrückte wäre. Ich beschloss, nicht weiter auf der Klärung dieses Punktes zu bestehen, und fuhr fort: „Das erklärt, woher der Ring stammt, aber wie kann er genutzt werden, um Saer aufzuhalten?“

„Ich werde ihn gegen ihn einsetzen, Hasi.“

Ich sah mit gerunzelter Stirn zu Adrian. „Warte mal, du hast doch behauptet, du könntest ihn nicht benutzen, um Damian zu retten.“

„Das liegt daran, dass Damian durch Asmodeus'

Fluch gebunden war. Der Diener eines Dämonenfürsten kann einem anderen Diener oder jemanden, der an den Fürsten gebunden ist, nichts antun. Deshalb warst du imstande, Damian zu befreien, und ich nicht.“

„Vielen Dank“, sagte Belinda leise.

„Gern geschehen.“ Mir war nicht ganz wohl zumute angesichts ihrer Dankbarkeit.

„Ich werde den Ring benutzen und Saer gegenübertreten“, sagte Adrian fest entschlossen. „Mit dem Ring in meinen Händen wird es ihm nicht möglich sein, mich zu schlagen.“

„Hmm... Dann hätten wir also das Wie, aber noch nicht das Wann oder Wo.“ Ich blickte Belinda an. „Weißt du, wo sich Saer gerade aufhält?“

Christian schüttelte den Kopf und kam Belinda mit seiner Antwort zuvor. „Das spielt keine Rolle. Er wird zu uns kommen.“

Adrians Augen färbten sich in ein blasses Grünlichblau, als er den anderen Vampir skeptisch ansah. „Du glaubst, dass er uns hier angreifen wird?“

„Mit dem unteren Teil des Hauses sind wir fertig. Wir haben alles mit einem Bann belegt, was bannbar war“, sagte Allie. „Christian vermutet, dass Saer und seine Arier deine Spur noch vor der Morgendämmerung hierher zurückverfolgen werden.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Bis dahin sind es weniger als drei Stunden.“

„Arier?“, fragte ich nach. Ich dachte, ich hätte mich verhört.

Christian und Allie nickten.

„Meint ihr diese rassistischen, rechtsextremen Typen?“

„Ja“, antwortete Christian.

„Neonazis?“ Es fiel mir alles andere als leicht, mir einen machthungrigen Vampir als Anführer einer Armee von Neonazis vorzustellen. „Skinheads und so was?“

„Hasi, was ist denn daran für dich so schwer zu glauben?“ In Adrians Stimme schwang ein Schmunzeln mit.

„Ach, ich weiß auch nicht. Ich schätze, ich hatte einfach nur erwartet, das Saers Armee eher aus... ihr wisst schon... untoten Bösewichtern bestehen würde.“ Alle blickten mich stumm an. „Ja, ja, ihr habt ja recht. Neonazis sind auch eine Art untote Bösewichter. Also gut. Dann müssen wir jeden Augenblick damit rechnen, dass Saer uns mit einem Haufen Nazis im Stechschritt angreifen wird. Klasse. Haben wir zufällig irgendjemanden hier, der Winston Churchill so richtig gut imitieren kann?“

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